AUTORITÄR oder KOOPERATIV?
- 12. Mai 2020
- Veröffentlicht durch: Ralf Juhre
- Kategorien: Change Management, Führung & Motivation, Organisationsentwicklung
Welcher ist der richtige Führungsstil im Change?
Ist bei notwendigem Change beherztes, autoritäres Durchgreifen erforderlich oder ist das sanfte kooperative Führen besser geeignet um Veränderungen herbeizuführen? Die Geschichte der Führungslehre zeigt, dass diese Fragestellung schon seit Jahrhunderten diskutiert wird. Tannenbaum und Schmidt haben in ihrem Führungskontinuum im Jahre 1958 die unterschiedlichen Führungsstile aufgezeigt. Links außen befindet sich der autoritäre Führungsstil, bei dem alle Macht ausschließlich von oben ausgeübt wird. Mitsprache ist nicht vorgesehen. Je nach Partizipationsgrad beschreiben die Autoren dann patriarchalisches, beratendes, kooperatives, partizipatives und schließlich demokratisches Führen. Welcher dieser Stile ist besser geeignet beim Führen in und durch Veränderungen? Eine brisante Frage in Zeiten von VUCA und den damit zusammenhängenden Game Changers unserer Zeit. Noch immer und immer wieder mal wird diese Grundsatzfrage von Inhabern und in Führungsetagen diskutiert oder es werden Fakten in die ein oder andere Richtung geschaffen durch schlüssiges Handeln.
ALTES PARADIGMA in den Köpfen
In der Praxis der Organisationsentwicklung wird der Zusammenhang zwischen dem Welt- und Menschenbild der Unternehmensinhaber und Aufsichtsräte derzeit wie selten zuvor eine Tendenz deutlich sichtbar: Je älter die Inhabervertreter, desto mehr ist in der Regel eine Neigung zum autoritären Führungsstil erkennbar. Gelernt ist gelernt und jeder ist Kind seiner eigenen Zeit. Im Denken ehemaliger gehobener Manager und Berater sowie Inhaber, die heute 70 Jahre und älter sind und in der eigenen Historie große Erfolge erzielt haben, ist Führung vor allem eine Frage des kontrollierenden Beherrschens des Unternehmens.
So wird in diesem Paradigma von einem leitenden Manager erwartet, dass er -wie es selbst in der Vergangenheit erfolgreich praktiziert und erlebt wurde- jederzeit über möglichst jedes Detail aus dem Stand ausführlich Auskunft geben könne. An der Fähigkeit genau dazu wird dann im Wesentlichen seine Managementqualität gemessen und damit auch die Eignung oder Nichteignung als gehobene Führungskraft. Daran hängt dann oft die Vertragsverlängerung. Im Unternehmensalltag führt dieses mittlerweile wissenschaftlich längst überholte Paradigma dazu, dass leitende Manager die gesamte Organisation und sich selbst vor Aufsichtsratssitzungen beinahe vollständig lahmlegen um Berichte anzufertigen und Foliensätze für den Fall der Fälle zu produzieren, etc.. Es darf auf keinen Fall sein, dass eine Frage in der Aufsichtsratssitzung nicht sofort beantwortet werden kann. Ganze Organisationsteile sind vor den Sitzungen mit nichts anderem mehr beschäftigt -schon gar nicht mit dem Kunden- als dem Erstellen von Berichten.
Wer kooperativ führt, delegiert, und schöpft damit das Potential seiner mittleren Führungsebene optimal zum Unternehmenserfolg aus. Er kann und braucht vor allem nicht alles zu wissen, denn er/sie vertraut in seine guten mittleren Führungskräfte auf der zweiten, dritten und vierten Ebene. Doch das alte Paradigma setzt auf ein generelles Misstrauen. Systemisch betrachtet bringt sich ein Unternehmen dadurch selbst unter das Diktat eines Kontrollgeistes. Auf der Grundlage eines misanthropischen Menschenbildes -der Mensch ist böse und schlecht- ist ständiges Misstrauen und Vorsicht angesagt. Es existiert eine selbst erzeugte und gewollte Misstrauens- und daraus resultierende Angstkultur. Angst jedoch paralysiert, führt zur Flucht oder auch in Hybris und Hyperaktivität der Manager, bringt jedoch keinesfalls Bestleistungen zustande. Denn der Träger der Angst kann seine Energien nicht vollständig auf die Aufgabe lenken, er braucht einen Teil oder sogar Großteil seiner Kraft für die Angstbewältigung durch Absicherung. Effektiv für den Unternehmenserfolg ist das nicht.
Wenn ständiges Herrschaftswissen über alles, was sich im Unternehmen zuträgt, zum Qualitätskriterium eines guten leitenden Managers erhoben wurde, ist jede Unwissenheit als Schwäche zu definieren. Anders gesagt: Ein leitender Manager, also ein Vorstand/Geschäftsführer, der nicht jederzeit alles im Blick hat und sich nicht im Detail auskennt und sofort Fragen beantworten kann, qualifiziert sich damit nach altem Paradigma als ungeeignet. „Das muss der doch wissen, sonst ist er nicht der Richtige am richtigen Platz“. Das Vertrauen in die eigenen leitenden Mitarbeiter und das damit einhergehende Delegieren von Verantwortung und Macht ein Kennzeichen einer guten Führungskraft ist wird hier völlig negiert. Vertrauen der Führungskraft in die Geführten wird als Erfolgsfaktor nicht erkannt. Der Geist des ständigen Misstrauens verhindert effektive Zusammenarbeit und gute Ergebnisse. Taktisches Manöver, politische Spielchen, Manipulation und Maulkörbe sowie viele weitere üble Machtspiele beherrschen dann die Führungsetagen. Der Umgang mit Menschen wird respektlos, im Erleben der Einzelnen fehlen Wertschätzung und Achtung, es kommt schnell zu inneren Kündigungen, das Unternehmen verliert seinen guten Ruf und damit auch Punkte beim so zukunftswichtigen Employer Branding.
Effektivitätsverlust und Misserfolg durch ANGST- und KONTROLLE
Herrschen Angst und Kontrolle -was symptomatisch für einen autoritären Führungsstil ist – so sind besonders diejenigen, die am meisten zu verlieren haben, am stärksten mit der Absicherung beschäftigt. Je höher Gehalt, Ausstattung und Privilegien, desto größer der drohende Verlust und desto intensiver ist folglich auch das Absicherungsverhalten. Kundenorientierung, Qualität und Innovation kommen dabei zu kurz. Sie stehen erst an zweiter oder dritter Stelle, denn zunächst muss man sich ja mit aller Kraft absichern, was auch niemandem zu verdenken, sondern ein natürlicher Überlebensimpuls ganz nach Survival oft he fittest ist. Man passt sich einfach den Gegebenheiten an. Nicht selten kann man in der Praxis dann sogar beobachten, wie sich die ersten drei Ebenen im Alltag im Unternehmen zu 80% und mehr mit Absicherung zwecks Angstbewältigung statt der Herstellung von Zukunftsfähigkeit beschäftigen. Man kann sich ausmalen, welche wirtschaftlichen Folgen dies für ein Unternehmen hat.
Generelles Misstrauen führt wie beschrieben zu intensiver Kontrolle und bringt weitere schwerwiegende Folgen mit sich: Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl der Handelnden wird nachhaltig niedergedrückt. Eigenständigkeit und Initiative werden gelähmt. Zwar werden mögliche Ansätze zur Verbesserung und Innovation gesehen und auch gewollt, man traut sich aber nicht, diese umzusetzen. Das System Unternehmen wird durch die Misstrauenskultur in die Passivität getrieben. Man bewegt sich angstgesteuert nur dann, wenn man einen klaren Auftrag dazu bekommt. Ohne eine solche Genehmigung und Freigabe ist es gefährlich, etwas zu tun, also zieht man sich besser zurück. Es kommt zu dem Phänomen der erlernten Hilflosigkeit, die jegliches Ownership und Verantwortungsübernahme austreibt. Das System steht still. Gleichzeitig, und ohne dies zu reflektieren, wird dann häufig von oben nach unten das unselbständige Denken und Handeln der mittleren Führungsebenen gerügt oder angeprangert. Es wird mehr Eigeninitiative, Ownership, verantwortliches Denken und Handeln eingefordert und zugleich durch Kontrollinflation und Misstrauenskultur ausgetrieben. Diese Paradoxie der Führung steht im Widerspruch zum Erfolg und löst Dilemata aus, die nicht selten traumatisierende Auswirkungen für die Beteiligten mit sich bringen.
All diese organisationalen Phänomene sind in Forschung und Wissenschaft gut bekannt und betrachtet. Dennoch existieren in zahlreichen Unternehmen diese Schieflagen. Grund dafür ist -wie oben bereits ausgeführt- das vorherrschende Menschenbild derer, die ganz oben stehen und die Frage, wie aktuell deren Managementwissen ist. Was früher einmal zum Erfolg geführt hat, kann heute nur dann funktionieren, wenn die Herausforderungen noch genauso wie damals sind. In der heutigen VUCA Welt jedoch ist alles anders als zuvor: Komplexität und Chaos in den Märkten haben durch Globalisierung, die digitale Revolution und weitere Faktoren dermaßen zugenommen, dass die alten Managementmuster, mit denen man früher erfolgreich war, nicht mehr taugen. Es bedarf des fundamentalen Umdenkens besonders bei ehemals sehr erfolgreichen Managern, deren Paradigmen meist in der Zeit und unter den damaligen Umständen ihres Erfolges entstanden sind. Bleibt es dabei, dass die alten Paradigmen des kontrollierenden Beherrschens handlungsleitend sind, kommt es nicht zu den gewünschten Veränderungen in Richtung Innovation und Zukunftsfähigkeit. Um in der digitalen Revolution mithalten zu können, braucht es der Aktivierung der Prinzipien der Schwarmintelligenz des gesamten Systems. Es reicht angesichts der immensen Herausforderungen an Veränderungen keinesfalls aus, dass einzelne Manager – Heroes Veränderung gestalten und somit den Karren aus dem Dreck ziehen. Das gesamte System muss partizipativ zur Zukunftsfähigkeit beitragen.
Den Unternehmen, die es nicht schaffen, ihre Angst- und Kontrollkultur und ihr generelles Misstrauen von oben nach unten zu überwinden, stehen keine guten Zukunftsaussichten bevor. Sie hängen dem Mythos des Führungshelden nach, den Carlyle 1840 mit seiner Great Man Theory beschrieben hat. Bei anderen Umgebungsbedingungen mag der Great Man Ansatz funktionieren, nicht jedoch in den derzeitigen Zeiten der Transition und der VUCA World der volatilen Veränderungen. Umso verwunderlicher ist es, von außen zu beobachten, dass manche Unternehmen angesichts derzeitiger Krisen und Herausforderungen doch wieder in dieses alte Muster verfallen und es wieder mit autoritärem Führenden versuchen, bei denen Wertschätzung und Respekt gegenüber Menschen auf der Strecke bleiben.
Misstrauenskultur zerstört Unternehmenszukunft
Der Gedanke, man könne ein Unternehmen durch Angst und Kontrolle erfolgreich in Veränderungen führen, ist in VUCA – Zeiten in sich selbst absurd. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Misstrauen und Überkontrolle lähmen die Innovationsfähigkeit sowie die Motivation und Identifikation mit dem Unternehmen. Misstrauen wirkt damit zerstörerisch auf die Unternehmenszukunft. Sie traut nicht zu, sie glaubt nicht, sie hofft nicht und sie bindet nicht die vorhandenen Potentiale und Fähigkeiten ein. Misstrauen von oben sieht sich selbst zu sehr in der Retterrolle, leitende glauben dann tatsächlich, dass sie die Einzigen im gesamten Unternehmenssystem wären, die wüssten, wie es richtig ist. Alle anderen sind in ihren Augen unwillig und unfähig und brauchen ihre Hilfe. Besser lässt sich ein misanthropisches Menschenbild wohl nicht beschreiben. Narzisstisch dissoziale Persönlichkeitsanteile helfen dabei sehr viel weiter sich selbst als the one and only leader identifizieren zu können. Dieses Abheben führt relativ schnell zu Vertrauensverlusten in die Führung, die Autorität geht verloren und alle arbeiten nur noch daran, wie man solch eine Person wieder erfolgreich loswerden kann.
Das zentrale Problem also im autoritären Herangehen an Change ist, dass die Energie nicht auf Innovation und Problemlösung, sondern auf Angstbewältigung und Absicherung, gegenüber der nicht vertrauenden Führung fokussiert wird. Da dies überlebensnotwendig ist, passen sich die Handelnden an, was durchaus intelligent ist. Das Ziel der Kreativität, Innovation und damit Zukunftsfähigkeit wird jedoch verfehlt, das Unternehmen erleidet Schaden.
Kooperatives Führen setzt auf VERTRAUENSKULTUR
Vertrauen in die Motivation, Fähigkeit und Willigkeit der Führungskräfte und Mitarbeiter ist notwendig, um die Veränderungspotentiale zu realisieren, sich den Herausforderungen zu stellen und zukunftsfähig zu werden. Es reicht nicht aus, Zukunftsfähigkeit auf die EINE Intelligenz eines starken Leiters oder Vorstandsteams aufzubauen, die gesamte Systemintelligenz ist erforderlich um in den massiven Veränderungen der digitalen Revolution nicht unterzugehen. Einzelpersonen sind – anders als in anderen Herausforderungsmomenten – in der jetzigen VUCA World nicht stark genug. Eine Vertrauenskultur verändert den Kreislauf ganz erheblich. Vertrauen führt zur Kreativitätserlaubnis und damit zum angstfreien Ausprobieren auch ohne Auftrag. Die Eigeninitiative bringt Innovationsansätze hervor, was wiederum das Selbstbewusstsein fördert. Die Führungskräfte und Mitarbeiter erleben sich im proaktiven FLOW und werden in ihrer Selbstwirksamkeitsüberzeugung bestärkt. Das wiederum führt zur Zunahme von Ownership im Unternehmen. Man denke einmal, welche Kraft darin liegt, wenn beinahe alle Mitarbeiter im Unternehmen das Unternehmen aus eigenem Antrieb heraus neu erfinden wollen und welches Potential dadurch freigelegt wird.
MC Gregor hat in seiner XY-Theorie in den 1950ern bereits auf diese motivationalen Kreisläufe hingewiesen. Er hat damit aufgezeigt, wie sehr eigentlich die Haltung der Führungskraft das Verhalten des Geführten erst erzeugen. Die Führung konstruiert also durch sich selbst erfüllende Prophezeiungen das Verhalten. Somit ist das Verhalten, wie beispielsweise die erlernte Hilflosigkeit immer Spiegel der Führung.
Fazit
Führen in und durch Veränderung bedarf in VUCA Zeiten vor allem des Aufbaus von Vertrauen und des Freisetzens der Schwarmmotivation zur Innovation. Misstrauenskultur, Kontrolle und Angst helfen dem Unternehmen nicht bei der Freisetzung der eigenen Kreativitäts- und Innovationspotentiale, sondern blockieren dieselben. Aufsichtsräte und Manager der alten Schule, die noch immer an das Funktionieren von autoritären Führungsstilen in Zeiten der massiven Veränderungen glauben, schaden mit diesem Paradigma und ihren daraus erwachsenen Erwartungen der Zukunftsfähigkeit des Unternehmen und sind gut beraten, ihr Paradigma zu überdenken.